So kommen 50plus ohne Enkel zu Grosskindern

Im Grosseltern-Alter, aber doch keine Grosskinder? Das passiert heute vielen, weil die Kinder von über 60-Jährigen keine Kinder mehr haben wollen.
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Rent-a-Grossmutter: Lassen Sie sich vermitteln, wenn Sie keine eigenen Grosskinder haben.

Hans Haffner ist via Kontaktanzeige im Internet zu zwei Grosskindern gekommen. Erst einen Monat kennt er die beiden Kinder im Vorschulalter, hat aber mit ihnen und ihren Eltern schon einiges unternommen. Bis vor kurzem war "Grossvater Hans", der hier nicht mit seinem richtigen Namen auftreten will, ein verhinderter Grossvater.

Zwar hat der Pensionär zwei Kinder, doch die haben - auch schon um die 40 Jahre alt - anderes im Sinn, als eigene Kinder zu haben. Haffner, der zu seinem eigenen Grossvater eine innige Beziehung hatte, wollte seine Grosskindlosigkeit nicht einfach so hinnehmen. Seit 2010 gibt es die Online-Dienstleistungs-Plattform "Rent a rentner".

Erst seit wenigen Monaten aber können sich Rentner hier auch als Grosseltern anbieten. Knapp zwanzig Möchtegern-Grosseltern präsentieren sich zurzeit mit einem Inserat. Haffner ist allerdings der erste, der "eine Adoption eingegangen ist", wie es bei "Rent a rentner" heisst. Das Konzept "Adoptivgrosseltern" hat ein Vorbild: In Zürich Nord startete 2007 das Pilotprojekt Patengrosseltern.

Seit diesem Jahr gibt es das Projekt für die ganze Stadt. "Wir haben schon zahlreiche Tandems vermittelt", sagt Erika Vakidis, die das Projekt Patengrosseltern der Gemeinschaftszentren Zürich leitet. Von Elternseite sei die Nachfrage stets sehr hoch. Bei den Grosseltern sieht es anders aus: "Wir könnten immer noch mehr Grosseltern brauchen, als wir haben."

Die Freiwilligen überlegen sich ihr Engagement gut: "Bis eine Grossmutter sich meldet, hat sie sich sehr gut überlegt, ob sie wirklich mitmachen will." Daraus ergäben sich aber auch gute Vermittlungen, denn "dann ist sie wirklich bereit für die längerfristige Verpflichtung".

In der Stadt Bern hat die Caritas im Januar dieses Jahres ebenfalls ein Patengrosseltern-Projekt lanciert, welches sich noch in der Aufbauphase befindet. Das Zürcher Projekt begleitet die Tandems professionell. "Das Patengrosseltern-Projekt ist ein Generationenprojekt, das auf Beziehung basiert. Es ist kein Schnellschuss", sagt Erika Vakidis.

"Manchmal passt das von uns vorgeschlagene Tandem nicht - nach sechs Wochen haben die Beteiligten deshalb nochmals die Möglichkeit, auszusteigen. Und zwar ohne Gesichtsverlust." Zwischen Hans Haffner und den neuen Grosskindern respektive deren Eltern ist der Funke gesprungen.

Haffner berichtet, die Eltern der Kinder, wie auch deren Grossmutter, hätten ihm bei den ersten Treffen ordentlich auf den Zahn gefühlt. Für ihn ist die Konstellation perfekt, wie er sagt: Die Kinder haben zwei Grossmütter, aber keinen Grossvater. Und Haffners Frau will nur am Rand involviert sein.

"Es ist mein Ding. Es macht mir Spass", sagt der 66-Jährige, der früher beruflich viel unterwegs war und nun seinen Erfahrungsschatz gern seinen "Enkeln" weitergeben will. Dass er nun plötzlich mit Menschen, von deren Existenz er vor kurzem nichts wusste, viel Zeit verbringt, findet er nicht besonders speziell.

"Ich bin ein sehr offener, kontaktfreudiger Mensch", sagt er dazu. Der Trend, dass Rentner ihre Lebenserfahrung anbieten und weitergeben wollen, reiht sich für Soziologe François Höpflinger von der Universität Zürich in schweizerisches Brauchtum ein: "Im Grunde sind diese Projekte die Wiederentdeckung einer (eid)genossenschaftlichen Tradition, die in den letzten Jahrzehnten aufgrund von Individualisierungsbestrebungen in den Hintergrund gerückt wurde", sagt Höpflinger.

Es gehöre zu den urschweizerischen Traditionen, sich mit anderen Menschen zusammenzutun. "In der Schweiz hat man sich schon früh über den Rahmen der eigenen Familie, des eigenen Clans engagiert", sagt der Generationenforscher. Dass das Interesse an solchen Projekten wächst, hat für Höpflinger damit zu tun, dass "der Trend zur Individualisierung seinen Höhepunkt überschritten hat".

"Damit gewinnen gemeinschaftliche, nachbarschaftliche oder genossenschaftliche Formen des Zusammenlebens wieder erhöhte Bedeutung, und zwar sowohl bei jungen wie bei älteren Menschen." Während beim in mehreren Regionen etablierten Caritas-Projekt "mit mir" Kinder aus benachteiligten Familien via Patin oder Paten ihren Horizont erweitern können, suchen nicht etwa nur benachteiligte Familien nach Patengrosseltern.

"Das Profil der Familien ist sehr breit: Es gibt Eltern mit hohem Bildungsgrad wie auch Familien mit vielen Schwierigkeiten, auch im Arbeitsleben. Einfach querbeet alles", sagt Erika Vakidis von den Zürcher Gemeinschaftszentren. Viele Leute kämen aus ökonomischen Gründen von auswärts nach Zürich.

"Sie verlassen einen Grossteil ihrer Familie und wünschen sich, dass die Kinder am neuen Wohnort Wurzeln schlagen können", sagt sie. Umgekehrt gibt es viele ältere Menschen, die kinderlos geblieben sind oder deren Kinder selbst noch keine eigenen Kinder haben. Hans Haffner hat seine Kontaktanzeige gelöscht. Mit den neuen Grosskindern will er viel unternehmen.

Und vielleicht lässt sich auch schon eine gemeinsame Weihnachtsfeier organisieren. "Grossvater Hans" würde es sich wünschen.

www.aargauerzeitung.ch


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