Altersguillotine
Den «Sessel räumen» für Senioren
Fröhlich verkündet Entertainer Udo Jürgens seit Jahren die Botschaft: "Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an." Der Musiker, mittlerweile 80, ist der lebende Beweis für seine eigene These: Er tänzelt noch immer mit Elan über die Bühnen und singt: "Mit 66 Jahren, da kommt man erst in Schuss, mit 66 Jahren, ist noch lange nicht Schluss."
Im Konzertsaal gibt es Beifall für diese Nummer. Im Bundeshaus findet sie nicht überall Gehör. Besonders Vertreter der Jungparteien fühlen sich beim Anblick mancher alter oder altgedienter National- und Ständeräte an die drei steinernen Eidgenossen im Entrée des Parlamentsgebäudes erinnert.
In ihren Augen sind sie bloss lästiges Inventar, verstaubt, erstarrt - ein Ärgernis. "Wer lange im Parlament sitzt, läuft Gefahr, die Nähe zur Basis zu verlieren", sagt Fabian Molina, Präsident der Jungsozialisten. Die Senioren wollten "ihre Privilegien nicht mehr hergeben", schimpft er, "deshalb müssen wir Jungen darauf pochen, dass sie ihre Sessel räumen und eine echte Durchmischung ermöglichen."
Bei den Jungfreisinnigen tönt es ähnlich. "Die Politik braucht Wechsel. Wer zu lange dabei ist, kann träge werden", sagt deren Präsident Maurus Zeier. Und Andreas Lustenberger, Co-Präsident der Jungen Grünen, klagt: "Wir Jungen sind in den Räten untervertreten." Tatsächlich waren 2011 laut Bundesamt für Statistik 42 Prozent der 200 Nationalräte zwischen 50 und 59 Jahre alt.
Die 18- bis 39-jährigen zählen mit einem Anteil von 18 Prozent zur Minderheit. Doch diese Altersverhältnisse unter der Bundeshauskuppel sind schlicht ein Spiegel der gesellschaftlichen Realität draussen im Land. Vielen Jungpolitikern ist es egal. Sie bezichtigen die Alten der Sesselkleberei, sie möchten sie loswerden und begnügen sich dabei nicht mit allgemeiner Kritik.
Gezielt nehmen sie altgediente Männer und Frauen aus fast allen Fraktionen ins Visier. Dabei können sie sich auf die Regelungen einiger Kantonalparteien stützen, die in ihren Statuten Amtszeitbeschränkungen vorsehen. Die Basler SP-Ständerätin Anita Fetz (57) zum Beispiel sieht sich zusammen mit ihrer Parteikollegin, der Basler Nationalrätin Silvia Schenker (60), damit konfrontiert.
Die Basler SP kennt eine Limite von zwölf Jahren. Schenker wird sie nächstes Jahr erreicht haben, während Fetz dann schon auf insgesamt 20 Jahre Arbeit in der grossen und in der kleinen Kammer zurückblicken kann. Beide wollen 2015 trotzdem nochmals zur Wahl antreten.
Im Kanton Zürich zittern die langjährigen SP-Nationalräte Andreas Gross (61), Jacqueline Fehr (50) und Chantal Galladé (41) dem parteiinternen Nominationsverfahren entgegen. Die drei können nur wieder kandidieren, wenn zwei Drittel der Delegierten dazu ihren Segen geben.
Gross soll sich dem Vernehmen nach seiner Zwangspensionierung als Politiker nicht mehr widersetzen. Er dürfte 2015 - nach einer Amtszeit, die dann fast ein Vierteljahrhundert gedauert haben wird - auf eine weitere Kandidatur verzichten. Bei den Grünen ziehen die Jungen den graumelierten Genfer Nationalrat und einstigen Parteipräsidenten Ueli Leuenberger (62) im Wahljahr 2015 aus dem Verkehr.
Auch in den Ratsbänken der Rechten ist ein Gerangel der Generationen in Gang. Die Zürcher SVP versuchte jüngst nach der Demission von Nationalrat Hans Kaufmann, den Otelfinger Landwirt Ernst Schibli (61) am Nachrücken zu hindern. Lieber hätte sie den Banker Thomas Matter (48), Säckelmeister der Zürcher SVP, ins Bundeshaus geholt.
Doch Schibli setzte sich durch. Er wird Kaufmanns Sitz erben. Und die Walliser CVP verbietet ihrem Nationalrat und Parteipräsidenten Christophe Darbellay, erst 43 Jahre alt, aber seit elf Jahren Deputierter in Bern, eine weitere Vierjahres-Amtsperiode anzuhängen. Wenige Monate ist es her, da rief SP-Fraktionschef Andy Tschümperlin (52) gar nach Einführung einer generellen Alterslimite 65 für Volksvertreter.
Die Altersguillotine ist wieder en vogue, hervorgeholt aus dem Keller des Vergessens, geputzt und geölt, auf dass sie niedersause auf die Dinosaurier der Politik. Und niemand wehrt sich. Niemand? Einer der jüngsten Alten dieses Landes, Helmut Hubacher, der am 15. April seinen 88. Geburtstag feiert, sagt lakonisch: "Jung sein ist noch lange kein politisches Programm."
Er habe schon immer gegen Altersguillotinen gekämpft, sagt der Mann mit dem wachen Verstand, der von 1963 bis 1997 für die Basler SP im Nationalrat sass. Schliesslich sei es "allein an den Wählern, zu entscheiden, ob sie einen etwas älteren Kandidaten nochmals berücksichtigen wollen oder nicht".
Für Senioren in der Politik spreche, dass sie "dank ihrem Wissen und ihrer Erfahrung politische Geschäfte besser einordnen können als Junge und sich auch nicht so schnell etwas vormachen lassen". Hubacher hält Tschümperlins Forderung schlicht für "eine Schnapsidee".
Das Prädikat "Bisheriger" auf dem Wahlzettel bringe zudem oft zusätzliche Stimmen ein, weiss er auch aus eigener Erfahrung. Alt werden heisst noch lange nicht, schwach zu sein, auch wenn Ärzte warnen: "Der Mensch verliert zwischen dem dritten und achten Lebensjahrzehnt einen Drittel seiner Kraft."
Der Waadtländer CVP-Nationalrat Jacques Neyrinck lebt das vor. Seine Partei möchte ihn 2015 durch einen Jüngeren ersetzen. Doch Neyrinck denkt nicht ans Aufhören. Er will dann als Ständerat kandidieren.
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