Seniorenbildung
Seniorenbildung "Seht her, ich kann's auch!"
Immer mehr Menschen um die 50 werden Auszubildende. Die Betriebe, die sich trauen, machen gute Erfahrungen. Grösstes Problem: das Geld, schreibt Peter Ilg auf "spiegel.de".
Nur ein Jahr lang war Erika Sperber arbeitslos. Und das mit 60. Februar vor einem Jahr hatte sie Geburtstag, im April einen Ausbildungsplatz. Kurz vor ihrem Festtag entdeckte sie eine Stellenanzeige der Ing-Diba: "Wir bilden auch jenseits der 50 aus", so der erste Satz.
Der war entscheidend - und Sperber bald angehende Bankassistentin. Der Ausbildungsplatz ist für sie die Eintrittskarte zurück in die Arbeitswelt. Begonnen hat sie ihr Arbeitsleben 1967, am Bankschalter.
"Damals hiess es: Frauen brauchen keine Ausbildung, die bekommen Kinder und bleiben dann daheim", erinnert sie sich. Doch als ihr Sohn zu Welt kam, blieb sie nur kurz zu Hause, arbeitete bald in Teilzeit und schloss später eine Ausbildung zur praktischen Betriebswirtin ab.
Sie arbeitete im Export eines Pharmaherstellers, später in Marketing und Vertrieb verschiedener Maschinenbauer. Dann kam die Kündigung wegen Umstrukturierung. Eigentlich eine ausweglose Situation, in dem Alter.
Wer stellt schon Beinahe-Rentner ein? Der Jugendwahn vieler Arbeitgeber ist berüchtigt. Dabei könnten ältere Menschen die schwierige Lage am Ausbildungsmarkt lindern. Schon 2012 blieben tausende Ausbildungsplätze unbesetzt, weil immer mehr Jugendliche studieren und die Zahl der Schulabgänger sinkt.
In diesem Jahr ist es nicht besser, Angebot und Nachfrage kommen am Ausbildungsmarkt nicht zusammen. "Die Unternehmen konnten weniger Lehrstellen besetzen, gleichzeitig haben immer weniger Ausbildungswillige eine Lehrstelle gefunden", sagt Reinhold Weiss, Forschungsdirektor am Bundesinstitut für Berufsbildung.
Die Ausbildungsbetriebe klagen, den Schulabgängern mangele es häufig an der Ausbildungsreife. Das kann man von älteren Azubis nicht behaupten. Inzwischen spricht sich das herum.
"Vermehrt machen auch ältere Menschen eine Ausbildung", sagt Weiss: Vor 20 Jahren waren 3,4 Prozent aller Azubis zwischen 24 und 40 Jahre alt. Heute sind es fast dreimal so viele.
Erst seit 2007 erfasst das Bundesinstitut auch Ü40-Azubis. In den fünf Jahren bis 2011 hat sich deren Zahl auf fast 1000 verdoppelt. Im Vergleich allerdings eine winzige Zahl: 2011 wurden insgesamt 566.000 Ausbildungsverträge abgeschlossen.
Doch das ist immerhin ein guter Anfang, findet Weiss. "Ältere machen eine Ausbildung nicht nur, um beruflich einzusteigen oder umzusteigen. Es geht ihnen auch um Selbstbestätigung: Seht her, ich kann's!" Meist sind das Frauen, die nach einer Familienpause zurück ins Berufsleben wollen.
Die Ing-Diba bildet seit 2006 Senior-Azubis in einem Jahr zu Bankassistenten aus. Sie müssen den Lernstoff des ersten Ausbildungsjahres zum Bankkaufmann bewältigen und sich auf Immobilienfinanzierung oder Kundendialog spezialisieren.
Derzeit hat die Bank fünf ältere Azubis in Hannover, fünf in Nürnberg. Immer freitags haben sie Unterricht bei einem externen Schulungsinstitut und legen am Ende eine Prüfung vor der IHK ab.
Die Bank profitiert von der Initiative: "Unsere Kunden wünschten sich für Beratungsgespräche teils Menschen mit Lebenserfahrung", sagt Ausbildungsleiter Dieter Doetsch.
Knapp 50 Azubis über 50 haben bislang ihre Ausbildung bei der Bank abgeschlossen, überwiegend Frauen nach der Familienpause. "Ältere Mitarbeiter sind häufig viel gelassener und ruhiger als junge.
Sie bringen Ruhe ins Team, das überträgt sich auf die jungen Heisssporne", lobt Doetsch. Ihr Nachteil sei die geringe Affinität zur Technik. Die Bäckereikette K+U, eine Edeka-Tochter, bildet ebenfalls Senior-Azubis aus. Die Lehrzeit wurde von drei Jahren auf zwei verkürzt, "weil man bei reiferen Menschen nicht bei Adam und Eva anfangen muss", sagt Ausbildungsleiterin Corinna Krefft-Ebner.
"Sie bringen bereits Fertigkeiten und Kenntnisse aus ihren vorangegangenen Tätigkeiten mit." Der Betrieb hatte Mühe, auch nur die Hälfte seiner gut 160 Ausbildungsplätze mit Schulabgängern zu besetzen.
Die neuen Alten machen so manches besser als die Jungen, findet Krefft-Ebner. "Sie sind fleissig, ehrgeizig, zuverlässig, diszipliniert, haben ein vorbildliches Verhalten gegenüber Kunden und stellen meist die besten Klassen in der Berufsschule."
Aber sie können es sich nicht leisten, für ein Ausbildungsgehalt zu arbeiten, viele haben Familie. K+U zahlt ihnen rund 1500 Euro monatlich, bezuschusst von den Arbeitsagenturen.
"Ohne Förderung können wir uns die Senior-Ausbildung nicht leisten." Senior-Azubis werden von den Arbeitsämtern allerdings nur gefördert, wenn sie aus gesundheitlichen Gründen umschwenken müssen, wenn es für sie im erlernten Beruf keine Chancen mehr am Arbeitsmarkt gibt oder wenn sie keinen Berufsabschluss haben.
So kommt für den Job bei K+U nicht jeder in Frage. Lebenserfahrung oder rückläufige Schülerzahlen sind häufige Gründe, weshalb sich Unternehmer für die Azubis mit Lebenserfahrung interessieren. Lanxess hat noch einen anderen: Der Chemie-Konzern will damit Akademiker ins Berufsleben zurückholen.
Die promovierte Chemikerin Aurelia Reckziegel, 47, ist so vor einem Jahr zu Lanxess gekommen. Acht Jahre hatte sie nicht gearbeitet, sie hat zwei Kinder. "Ich wollte schon nach dem ersten Kind in Teilzeit arbeiten, habe aber keine Stelle angeboten bekommen.
Auch nicht, als ich mich später auf volle Stellen beworben habe - vielleicht, weil ich Mutter bin." Reckziegel begann, an ihren fachlichen Fähigkeiten zu zweifeln, war frustriert.
Eine Freundin erzählte ihr vom Lanxess-Programm. "Durch die Trainee-Stelle komme ich zurück ins Berufsleben und kann beweisen, dass ich gut in meinem Job bin." Im Frühjahr will Lanxess das Pilotprojekt auswerten.
13 Frauen und ein Mann werden dann eineinhalb Jahre als Trainees gearbeitet haben. Reckziegel fände es gut, wenn das Programm fortgeführt würde. Sie arbeitet in der Forschung und hatte es zuvor bereits zur Laborleiterin gebracht.
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