Vorsorge
Eine Patientenverfügung entlastet
Interview mit Sabine Camenisch
Sie arbeiten als Oberärztin auf der Intensivstation am Berner Inselspital und sind in Ihrem Team verantwortlich für die Patientenverfügungen. In welchen Situationen kommt die Patientenverfügung in Ihrem Arbeitsalltag zum Einsatz?
Sabine Camenisch: Im Team sind wir eigentlich alle für Patientenverfügungen verantwortlich. Bei uns sind die Patient*innen meistens nicht mehr ansprechbar. Sie befinden sich im künstlichen Koma. Manche kommen nach Operationen, andere nach Unfällen, sind also unvorbereitet auf unserer Station. Gewisse Therapien gehen schnell und gut. Manchmal folgt jedoch eine lange Phase mit vielen Komplikationen. Irgendwann stellt sich die Frage: Handeln wir hier im Sinne des Patienten?
Da sich die Patient*innen nicht mehr äussern können, sprechen wir viel mit den Angehörigen. Gleichzeitig versuchen wir herauszufinden, ob sich die betroffene Person irgendwo schriftlich geäussert hat, sei es in einer Patientenverfügung, einem schriftlichen Willen oder einer Registrierung für die Organspende. Das ist für uns als Behandlungsteam wichtig, aber auch für die Angehörigen, da es ihnen die Entscheidung abnimmt. Sie wissen so, was im Sinne der betroffenen Person ist.
Haben Sie konkrete Beispiele, in denen eine Patientenverfügung hilfreich war?
Wir haben zum Beispiel eine intubierte Person, die sich im künstlichen Koma befindet und beatmet wird. Wir sehen, sie erholt sich nicht gut, baut auf muskulärer Seite ab. Oder es kommt zusätzlich ein Gehirninfarkt dazu. Dann kommen wir an den Punkt, an dem wir mit Behinderungen und Pflegebedürftigkeit rechnen müssen. Zu diesem Zeitpunkt holen wir die Patientenverfügung hervor und schauen, was für die Patientin noch lebenswert ist.
Was tun Sie, wenn weder eine Patientenverfügung vorliegt, eine Patientin nicht ansprechbar ist und dennoch Entscheide gefällt werden müssen?
Egal ob eine Patientenverfügung vorliegt oder nicht: Wir finden zuerst heraus, wer die nächsten Angehörigen sind und laden sie zum Gespräch ein. Wir versuchen, schwierige Themen nicht am Telefon zu diskutieren. Es gibt oft die Annahme, dass man kein Recht hat, etwas zu entscheiden, wenn man nicht verheiratet ist. Es gibt zwar eine gesetzliche Grundlage, in welcher Reihenfolge Angehörige entscheidungsberechtigt sind. In der Praxis geht es aber um die Frage, wer der betroffenen Person am nächsten steht, wer ihre Lebenseinstellung und Wünsche bezüglich Lebensende kennt. Meistens sind es die Verwandten, die Eltern, Lebenspartner oder Kinder. Es kann aber auch eine enge Freundin sein.
Viele (auch jüngere) Menschen sehen die Notwendigkeit einer Patientenverfügung nicht unbedingt ein. Mit welchen Argumenten überzeugen Sie diese Menschen?
Ich glaube, für jüngere Menschen ist die Situation anders, weil man sich noch wenig mit dem Lebensende beschäftigt. Es ist auch akzeptabel, dass man als junger Mensch sagt: Ich mache keine Patientenverfügung. Viel wichtiger ist, dass man seinen Angehörigen erklärt, was für einen selber wichtig ist. Damit ist schon ein grosser Schritt gemacht. Es entlastet die Angehörigen, in der konkreten Situation im Sinne des Betroffenen entscheiden zu können.
Angebot Patientenverfügung
In der Vorsorgemappe des Schweizerischen Roten Kreuzes (SRK) sind alle wichtigen Unterlagen für eine vorausschauende Planung zusammengefasst. Kernstück ist die Patientenverfügung, die wichtige Fragen um Leben und Tod regelt. Das SRK bietet dazu auch Beratungen an. Wenn die Patientenverfügung beim SRK hinterlegt wird, ist sie im Ernstfall sofort abrufbar.
Vorsorge - Portal vom Schweizerischen Roten Kreuz (redcross.ch)