Muss ich jetzt das Gendersternchen nutzen?

Sprachverfall oder wichtiges Zeichen für Gleichberechtigung? Wir verraten Ihnen, ob Sie das Gendersternchen anwenden müssen.
Muss ich jetzt das Gendersternchen nutzen?
(Bild Dainis Graveris on Unsplash)

Die Empörung ist gross. In der Öffentlichkeit und zuvorderst im Internet mehren sich kuriose Wortneuschöpfungen. Gendersternchen, Doppelpunkt und Querstrich unterwandern Berufsbezeichnungen. Besucher*innen stehen Schlange und wer ein Leiden hat, der muss sich heutzutage unter Ärzt*innen den oder die passende*n Ansprechpartner*in suchen. Manch einer fühlt sich von dieser eigentümlichen Schreibweise angegangen. Immerhin hat man sich früher wunderbar verstanden und nie die Absicht gehabt, irgendjemanden zu beleidigen, auszugrenzen oder anderweitig auf den Fuss zu treten. Puristen warnen gar vor dem Verfall der Sprache. Sie verweisen auf das sogenannte generische Maskulinum und ferner darauf, dass mit dem grammatischen Geschlecht keinesfalls das reale Geschlecht gemeint sei. Soll heissen: Ein Ärztekongress, eine Lehrerveranstaltung oder ein Studentenausschuss habe immer auch die Teilnahme von Frauen mit eingeschlossen. Da müsse man nicht erst den Ärzt*innenkongress konstatieren. Doch stimmt das wirklich?

Die Frage nach dem Gendersternchen

Studien der Linguistik und Kognitionswissenschaft belegen, dass Menschen verschiedenen Geschlechts vornehmlich an männliche Personen denken, wenn von Lehrern, Ärzten und anderen Gruppen in der männlichen Mehrzahl gesprochen wird. Das heisst nicht, dass Personen, die diese Formen verwenden, Frauen ausgrenzen wollen. Die meisten deutschsprachigen Menschen bekennen sich, wenn sie gefragt werden, zur Gleichberechtigung und -behandlung der Geschlechter. Doch nur die wenigsten können einschätzen, welche genaue Wirkung ihre Sprache bei den Lesenden erzeugt. Auch die Lesenden vermögen im Nachgang zu verstehen, dass sich unter mehreren Lehrern die ein oder andere Lehrerin befindet. Die erste Assoziation bedient jedoch das Klischee des älteren Herren mit Brille auf der Nase. In der Alltagssprache reicht die Vorstellung des Beschriebenen meist nicht über diesen Ersteindruck hinaus. Es verfestigt sich das Bild der männlichen Lehrkraft, obwohl Lehrerinnen im gesamten deutschsprachigen Raum in der Mehrheit sind. Besonders Kinder zeigen sich oft verwundert, wenn nach dem angekündigten Arztbesuch plötzlich eine Ärztin vor ihnen steht. Das Gendersternchen dient dazu, den Lesefluss gezielt zu unterbrechen, um Leser*innen deutlich in Erinnerung zu rufen, dass mit der Aussage auch Frauen gemeint sind.

Ist das Gendersternchen verpflichtend?

Keine Rechtschreibverordnung erklärt das Gendersternchen zur neuen Norm. Es ist demnach weiterhin richtig, von Ärzten und Lehrern zu schreiben. Wer jedoch in seiner Sprache die Gleichberechtigung der Geschlechter betonen und fördern möchte, kann das Gendersternchen verwenden. Besonders im öffentlichen Raum, wenn von einer gesamtgesellschaftlichen Leserschaft auszugehen ist, bietet sich die Verwendung des Gendersternchens an. Es sei denn, die bezeichnete Gruppe umfasst tatsächlich nur Männer oder Frauen. Dann kann getrost auf das Gendersternchen verzichtet werden.

  • gegenderte Sprache ist weder falsch noch verpflichtend
  • für den öffentlichen Raum ist sie empfehlenswert
  • kein Gendersternchen bei rein männlichen oder weiblichen Gruppen

Doppelpunkt, Querstrich, Gendersternchen

Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten, um einen Begriff geschlechtsneutral abzubilden. Ob nun von Ärzt:innen die Rede ist, von Polizist*innen oder Fabrikarbeiter/-innen - alle Formen dienen demselben Zweck. Es bleibt jedem selbst überlassen, welche er verwenden möchte. Zugunsten der sprachlichen Gleichberechtigung ist es förderlich genug, auf irgendeine dieser Formen zurückzugreifen. Weitestgehend unproblematisch ist auch die ausformulierte Verwendung beider Geschlechter: Sehr geehrte Polizistinnen und Polizisten. Allerdings benachteiligt diese Menschen, die sich nicht eindeutig dem männlichen oder weiblichen Geschlecht zuordnen. Ausserdem zieht sie den gewünschten Text deutlich in die Länge. Ebenfalls praktikabel: Viele öffentliche Einrichtungen greifen auf geschlechtsneutrale Formulierungen wie "Studierende" oder "Lehrkräfte" zurück. Allerdings funktioniert diese Herangehensweise nicht mit allen Begriffen.

  • verschiedene Formen von gegenderter Sprache
  • alle Formen sind "richtig"
  • Gendersternchen, Doppelpunkt und Querstrich sind gleichbedeutend

Wem hilft das Gendersternchen?

Eine geschlechtsneutrale Sprache hilft allen Menschen, die sich in einer Gruppe behaupten wollen, die vornehmlich vom jeweils anderen Geschlecht ausgefüllt wird oder dieser gesellschaftlichen Erwartung unterliegt. Die Sprache ist kein Allheilmittel, ermöglicht jedoch unter anderem Soldatinnen und Handwerkerinnen einen angemessenen Grad an Respekt und Repräsentation zu erfahren. Es wird die grundsätzliche Möglichkeit betont, dass alle Geschlechter Teil der beschriebenen Gruppe sein können.

Warum wird die Debatte um das Gendersternchen so emotional geführt?

Diskussionen um die sprachliche Gleichberechtigung der Geschlechter werden besonders in den sozialen Medien befeuert. Dort trifft der normative Anspruch der Befürworter auf das kaum bis nicht vorhandene Problembewusstsein der Gegenseite. Wer sein ganzes Leben lang auf eine bestimmte Weise gesprochen und geschrieben hat, tut sich natürlicherweise schwer damit, diesbezüglich Verbesserungsvorschläge anzunehmen. Die Befürworter wiederum scheitern oft daran, ihr Problembewusstsein auf eine Weise zu vermitteln, die nicht als dogmatisch empfunden wird.

Wird die Sprache durch das Gendersternchen künstlich beeinflusst?

Sprache befindet sich unablässig im Wandel. Schon immer unterlag sie der gezielten und ungezielten Beeinflussung durch die Gesellschaft. Sie hat sich den Bedürfnissen des Zeitgeschehens angepasst und wird dies auch fortwährend tun.

 


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