BVG-Abstimmung
Mit falschen Zahlen gegen Reform
Es war eine ziemliche Bombe, welche der Tages-Anzeiger im Juni platzen liess: «Weniger Geld für Metzger, Gärtnerinnen und Coiffeure bei Ja zur Rentenreform» posaunte das Blatt und mit ihm ein Dutzend angehängte Titel ins ganze Land. Der Schreck sass tief: Wochenlang wurde in den Medien debattiert, wie es denn sein könne, dass die Politik eine BVG-Reform aufgleise, welche zu massiven Renteneinbussen führe. Zwar erwähnte der Tages-Anzeiger dünnlippig, es komme schon sehr auf die persönliche Situation drauf an. Aber die Lunte war gezündet: Vor allem Politikerinnen und Politiker aus der SP schossen scharf gegen Bürgerliche und gegen die Reform. Von «Rentenklau» ist die Rede, vom «Renten-Bschiss», gesungen wird die schräge Strophe von den Reichen, die den Armen jetzt auch noch die Rente ranzig machen wollen.
Irreführung der Gewerkschaften
Es dauerte leider den halben, verregneten Sommer lang, bis andere Redaktionen nachrecherchierten, statt nur nachzuerzählen. SRF Radio meldete letzte Woche: Falsche Zahlen. Die Zahlen, welche eine Pensionskasse Proparis (bei welcher u.a. Coiffeure versichert sind) dem Tages-Anzeiger für seinen Artikel zusteckte, waren falsch. Das musste der der zuständige PK-Direktor gegenüber SRF selber zugeben: Die Zahlen seien nicht korrekt, beziehungsweise irreführend.
Das «gefundene Fressen für die Gegner», wie es SRF formulierte, war zünftig versalzen. Seither wird über die Irreführung durch die PK, durch linke Politikerinnen und durch die Gewerkschaften diskutiert, welche die falschen Zahlen alle noch so gerne ungeprüft übernahmen, um die BVG-Reform schlecht zu reden. Ja, die Gewerkschaften hausierten monatelang mit den irreführenden Zahlen.
Besonders störend: Es zeigte sich, dass gewählte Nationalrätinnen und Nationalräte von SP und Grünen sich so wenig mit der BVG-Reform auseinandersetzen, dass ihnen die «Horror-Zahlen» aus dem Tages-Anzeiger-Artikel weder falsch noch spanisch vorkamen. Und die massive Beeinflussung des Abstimmungskampfes mit falschen Zahlen nennen die Gewerkschaften nur eine «Ungenauigkeit».
Mitte-Präsident Gerhard Pfister vermutete denn auch nicht bloss einen schlichten Fehler, sondern ein politisches Manöver.
Senkung Umwandlungssatz notwendig
Die Pensionskasse Proparis will die Zahlen für ihre Versicherten nun nochmals durchrechnen. Es ist möglich, dass nicht ganz alle ihrer Versicherten von der BVG-Reform profitieren. Unbestritten ist, dass der Umwandlungssatz, welcher für eine PK-Rente wichtig ist, leicht gesenkt wird.
Dieser Schritt wird von Pensionskassenexpertinnen und Experten seit über zehn Jahren gefordert, denn der aktuelle Satz kann von einigen Pensionskassen angesichts der stetig steigenden Lebenserwartung nicht mehr durchgehend gehalten werden. Die Löcher stopft bisher die arbeitende Generation – also auch die Coiffeurinnen und Metzger. Ein eigentlicher «Lohnklau», denn in der 2. Säule spart bekanntlich jeder und jede für sich. Es sollte keine Geschenke von einer Generation zur anderen geben.
Rentenzuschlag für die Übergangsgeneration
Weil tatsächlich einige wenige, unter 15% der arbeitenden Bevölkerung, wegen des sinkenden Umwandlungssatzes etwas weniger Rente erhalten könnten, hat das Parlament den sogenannten Rentenzuschlag in die BVG-Reform reinplatziert. Dieser Zuschlag beträgt über 15 Jahre hinweg rund 11 Milliarden Franken und wird weiterhin durch die arbeitende Bevölkerung finanziert.
Alle, die heute zwischen 50 und 65 Jahre alt sind und deren PK-Vermögen bei Pensionierung unter 441'000 Franken beträgt, sollen diesen Rentenzuschlag erhalten. So soll der leicht tiefere Umwandlungssatz kompensiert werden. (Wie die ganze Rechnung aussieht, lesen sie hier: ).
Die Höhe dieses Rentenzuschlages war im Parlament stark umstritten, denn zum einen schwächt er einen Kern der Vorlage – die 2. Säule zu stabilisieren –, andererseits war es klar, dass eine Volksabstimmung nicht zu gewinnen ist, mit der einige (auch wenn nur sehr wenige) der 50 bis 65-Jährigen schlechter dastehen als vorher. Deshalb der Rentenzuschlag in stattlicher Höhe.
Den Rentenzuschlag haben die Zahlen, welche die PK Proparis dem Tages-Anzeiger zusteckte, möglicherweise nicht berücksichtig; andere Rechnungsfehler nicht ausgeschlossen, denn Proparis will bis heute ihre falsche Rechnung nicht offenlegen. SRF vermutet sogar, dass die Irreführung absichtlich geschah, «um die Abstimmung zu beeinflussen».
Entscheidende Reform
Aber wie sich eine Meinung bilden, wenn irreführende Zahlen herumgereicht werden? Wer soll diese erkennen? Mitte-Präsident Pfister gab sich letzte Woche entspannt: Am Ende seien die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger gescheit genug, sich eine Meinung zu bilden.
Deshalb hier kurz Tatsachen zur Rentenreform, die wie der Rentenzuschlag unbestritten sind:
1. Die Reform stabilisiert die 2. Säule und macht die ganze Schweizer Altersvorsorge verlässlicher
2. Mindestens 85% aller heute arbeitenden Menschen sind von der Senkung des Umwandlungssatzes nicht betroffen (siehe zweiter Artikel zur Reform in diesem Newsletter)
3. Bereits pensionierte Menschen sind von der Reform nicht betroffen – ihre Rente wird nicht angefasst
4. Teilzeitarbeitende und damit mehrheitlich Frauen werden mit der BVG-Reform endlich bessergestellt, das geben auch einige Politikerinnen der Grünen zu, die dem Pensionskassensystem sonst skeptisch gegenüber stehen
5. Durch die Glättung der Lohnbeiträge für über 45-Jährige werden deren Arbeitsmarktchancen nach einem Stellenverlust verbessert
6. Durch die Reform kommen, je nach Berechnung, über 70'000 Menschen neu eine 2-Säule-Vericherung, welche sie auch für den Fall von Invalidität absichert
Die Umfragen der letzten Wochen haben gezeigt: Im Moment liegen die Gegner der BVG-Reform leicht vorne. Vor allem die falschen AHV-Berechnungen des Bundes, die vor kurzem publik geworden sind, haben im Volk Verunsicherung ausgelöst. Es bleibt den (vornehmlich bürgerlichen) Befürworterinnen und Befürwortern der Reform noch rund sechs Wochen Zeit, den Schaden von falschen Zahlen mit guten Argumenten für eine generationenübergreifend sichere Altersvorsorge zu beheben. Damit es am 22. September ein Ja an der Urne gibt.
Weitere Informationen: www.check-bvg.ch
Michael Perricone, Verband Swissmem
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