Seniorensport - man sollte nicht dogmatisch sein

Bis in welches Alter kann man Spitzensport mit gutem Gewissen betreiben? Wann wird es gesundheitsgefährdend, nicht mehr zu verantworten?
Seniorensport - man sollte nicht dogmatisch sein
Schwimmen eignet sich auch als Leistungssport bis ins hohe Alter.

Die NZZ am Sonntag sprach mit Brian Martin, Sportmediziner am Institut für Sozial- und Präventivmedizin der Universität Zürich.

NZZ am Sonntag: Herr Martin, erachten Sie es als sinnvoll, wenn Senioren auf Rekordhatz gehen?
Brian Martin: Es gibt verschiedene Motivationen, um Sport zu treiben, eine davon ist das Streben nach einer Leistung. Wenn jemand gesund ist, spricht nichts dagegen, an Wettkämpfen teilzunehmen. Für die Mehrheit der Senioren-Sportler steht das aber sicher nicht im Vordergrund.

Sehen Sie das als Auswirkung der Leistungsgesellschaft, dass auch bei den älteren Menschen im Sport vornehmlich das Resultat zählt?
Es ist eine Tatsache, dass die Menschen heute im Vergleich mit früheren Generationen im Durchschnitt länger gesund und leistungsfähig sind. Das hat zur Folge, dass das Leistungsbewusstsein und die Freude am Wettkampf bis in ein höheres Alter anhalten. Ich sehe das nicht als negative Entwicklung an. Barrieren verschieben sich im Lauf der Zeit, das ist normal.

Was halten Sie davon, wenn sich 75-Jährige im Stabhochspringen, Hammerwerfen oder Steeple-Laufen messen?
Bestimmt sind technisch sehr anspruchsvolle Sportarten, aber auch solche mit einem hohen Kollisions- oder Sturzrisiko für ältere Menschen wenig geeignet. Vor allem wenn jemand erst spät mit Bewegung und Sport beginnt, sind Einsteiger-Sportarten zu empfehlen. Wenn aber technisch anspruchsvolle Disziplinen von jung an geübt werden, spricht wenig dagegen, solche im Alter weiter auszuüben - auch wettkampfmässig.

Was halten Sie von Disziplinen, die vor allem Schnelligkeit verlangen?
Im Gegensatz zu Kraft und Ausdauer hat Schnelligkeit keinen unmittelbaren gesundheitlichen Nutzen. Auch sind Sprints vom Risiko für Muskelverletzungen her nicht gerade auf die Fähigkeiten von Senioren zugeschnitten. Aber auch hier gilt: Wer gesund und athletisch in einer guten Verfassung ist, kann auch im Alter noch schnell laufen.

Welche Sportarten entsprechen denn am ehesten den Voraussetzungen und Bedürfnissen von Senioren?
Am wichtigsten ist, dass sich die Älteren überhaupt bewegen. Da bietet es sich vor allem an, wenn immer möglich zu Fuss zu gehen. Neben Walken und Laufen sind beispielsweise auch Velofahren und Schwimmen gesund, aber je nach persönlichen Möglichkeiten und Vorlieben können ebenso Tennisspielen mit dem Partner oder Skifahren mit dem Nachbarn sehr sinnvoll sein. Man sollte nicht dogmatisch sein und den Spassfaktor nicht vergessen.

Sehen Sie eine Gefahr darin, wenn Pensionierte im Sport ein neues Feld suchen, um sich zu bestätigen und ein Ziel zu erreichen?
Wenn sie ihre Gesundheit damit nicht beeinträchtigen, betrachte ich das überhaupt nicht als Problem. Die meisten Leute - Junge wie Alte - würden ihrer Gesundheit und den Kosten für die Gesellschaft etwas zugutetun, wenn sie sich mehr bewegten.

Wo liegt denn das gesunde Mass sportlicher Betätigung?
Auch bereits heute körperlich Aktive können mit gezieltem Training trotz zunehmendem Alter sportliche Fortschritte erzielen. Um zu vermeiden, dass die Belastung zu stark gesteigert wird, sollten sich Männer ab 45 und Frauen ab 55 Jahren vom Hausarzt beraten lassen, falls sie neu Ausdauertraining betreiben oder den Umfang wesentlich steigern möchten.

Die Senioren sind ein wichtiger Teil eines lukrativen Geschäfts, das mit Trainingslagern und der Organisation von Wettkämpfen gemacht wird. Werden sie so zu Herausforderungen verleitet, die ihnen nicht gut bekommen?
Die professionellen und privaten Veranstalter tragen wesentlich dazu bei, dass viele Leute sportlich aktiv sind. Das bewirkt, dass sich immer mehr auch Senioren regelmässig bewegen. Dass der geschäftliche Aspekt dabei eine Rolle spielt, stört mich nicht, solange die Angebote sinnvoll sind und sich Freiwilligenarbeit und Kommerz ergänzen und nicht bekämpfen.

www.nzzamsonntag.ch


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