Ist es erstrebenswert, alt zu werden?

Dialog mit der Zeit. Wie lebe ich, wenn ich alt bin? Zum Alter und alt werden gibt es Fragen, auf die man widersprüchliche Antworten bekommt.
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Freut sie sich darauf, älter zu werden? (Bild: Fotolia)

Einen durchweg positiven Zugang finden Interessierte im Museum für Kommunikation in Bern, schreibt Sabine Altorfer in der «AZ».

Älter werden. Alt sein. Geht mich das etwas an? Ja. Leider. Was soll dieses "leider"? Warum so negativ? Fragt man Kinder, ist älter werden ein freudiges Ereignis. Denn wenn ich grösser bin, darf ich mehr. Erfahre ich mehr. Darf ich länger aufbleiben. Wenn ich älter bin, dann gehört mir die Welt. Doch schon bei Jugendlichen bekommt der Blick in die Zukunft ernste Schlagschatten.

Älter werden heisst erwachsen werden, heisst Berufswahl, Studium, Geld verdienen, Familie . . . vielleicht gar Verantwortung. Unabhängig von der eigenen Generation hat sich das Bild des Alters in den letzten Jahrzehnten verändert - genauso wie die Lebenserwartung. Wer in den 1950ern in der Schweiz geboren wurde, hatte 70 Jahre vor sich.

Heute können Frauen mit 87 und Männer mit 84 Jahren rechnen - Tendenz steigend. Wobei, damit rechnen kann niemand - es sind Durchschnittswerte. Immer höher wird auch der Anteil der ganz alten Menschen. In der Schweiz lebten 1956 - in meinem Geburtsjahr - nur gerade 12 Hundertjährige, heute sind es 1502.

Kein Wunder also, gab es in meiner Kindheit im Radio jeweils vor den Mittagsnachrichten die Gratulationen. In der jede und jeder über 95 an seinem Geburtstag namentlich erwähnt, mit ein paar Worten ("das Gehör ist nicht mehr so gut, aber einen Jass klopft sie gerne") und mit einem Ständchen (meist "Für Elise" oder "Schacherseppeli") geehrt wurde.

So alt zu werden, war eine Sensation. Die demografische Entwicklung hat nicht nur diese netten Mediengesten überholt, sie scheint auch unsere Sozialwerke und den Generationenvertrag ins Schleudern zu bringen - und stellt unsere Wertvorstellungen infrage. Dazu die Kennzahlen: 1960 lebten 0,65 Millionen über 65-jährige Menschen in der Schweiz, das waren 10,3 Prozent der Bevölkerung.

2013 waren es 1,44 Millionen (17,6 Prozent). Und für 2045 rechnen die Prognosen mit 2,69 Millionen (26,4 Prozent). Wer meint, mit diesem Viertel sei die Schweiz Spitzenreiterin, der irrt. In Japan beträgt der Anteil heute schon 25 Prozent. Trotzdem tauchen bei uns je länger, je mehr Wörter wie "Überalterung" oder "Senioren-Schwemme" auf - nicht nur in den bösen sozialen Netzwerken, sondern auch in Polit-Diskussionen und seriösen Medien.

Das ist unterschwellige Verunglimpfung und schmerzt die Betroffenen wohl mehr als die Arthrose im Hüftgelenk. Denn so stellt man sie als Schmarotzer der Gesellschaft an den Pranger - und das, obwohl doch ausgerechnet sie einen guten Teil zum heutigen Wohlstand beigetragen haben. Spielt bei dieser Wortwahl auch Neid mit?

Gegen die Leute, die frei, finanziell gesichert und meist bei akzeptabler bis guter Gesundheit eine dritte Lebenszeit geniessen können. Und stimmt dieses Bild überhaupt? Oder überwiegen Demenz, Pflegebedürftigkeit, ein Leben ohne Aufgaben und Perspektive? Die Zahlen sagen Nein: Lediglich zehn Prozent der über 80-Jährigen sind pflegebedürftig.

Sind die neuen Alten, die Silver Ager und Grauen Panther nun egoistische Genussmenschen, die in nie geahnter Frische auf Kosten von uns Werktätigen leben - oder ist es der verdiente dritte Lebensabschnitt nach 40 Jahren Arbeitsleben? Aber wie passt denn die aktuelle Erhebung im Kanton Zürich dazu, dass zwölf Prozent aller Neu-Rentner beim Sozialamt Zusatzleistungen anfordern, weil ihre Vorsorge zu schlecht sei?

Und wie fühlen sich die 50plus, die als Arbeitskräfte ausgemustert oder arbeitslos werden, wenn die Wirtschaft gleichzeitig über Fachkräftemangel klagt? Fragen über Fragen, auf die man widersprüchliche Antworten bekommt. Einen durchweg positiven Zugang finden Interessierte im Museum für Kommunikation in Bern.

Unter dem Titel "Dialog mit der Zeit. Wie lebe ich, wenn ich alt bin?" liefert man nicht nur einige hübsche Statistiken und interaktive Erlebnisse, sondern setzt auf Senior Guides (70plus), die Experten sind beim Thema Alter. Sie helfen tatkräftig mit, übliche Klischees zu zertrümmern. Etwa wenn am runden Tisch über Behauptungen diskutiert wird, was ein glückliches Alter sei oder ob die Seniorinnen tatsächlich vieles nicht (mehr) machen dürfen/können/sollen. Einen Blog, Extremsport, Sex haben, sich verlieben, über die Stränge hauen . . .

Es gibt erwiesenermassen Veränderungen, wenn man älter wird: Die Muskel-Kräfte lassen nach, man wird langsamer, ist nicht mehr so beweglich. Zumindest körperlich. So flapse ich mit meinen Sportlerkolleginnen im Ü32-Team (in dem alle deutlich über 32 sind) gerne darüber, dass wir eben im "knackigen Alter" seien.

Ein bisschen Humor und gemeinsames Geklöne ist die beste Medizin gegen Alters-Sport-Depression. Wer sich nicht vorstellen kann, wie sich der beschwerlichere Alltag anfühlt, der kann im Berner Museum ausprobieren, wie es ist, wenn die Beine schwerer werden oder man mit zitternden Händen Mühe hat, den Schlüssel ins Schloss zu stecken.

Aber wie wird sie, die Zukunft im Alter? Und wie werden wir zukünftig Alter definieren? Heute bekommen ja bereits 50plus-Menschen offizielle Botschaften und überflüssige Newsletters, dass sie sich als Bald-Alte dringend über Altersvorsorge, Gesundheit, Haarfarbe und möglichst viel Fun ihre Gedanken machen sollten.

Diese neue Aufmerksamkeit ist meist nicht eben lustig, sondern Teil einer - erstaunlich spät, aber umso geschmierter angelaufenen - Verkaufsmaschinerie. Zielten die Werber jahrzehntelang stur auf das Segment 29-49 Jahre als kaufkräftigste Schicht, haben sie nun die Alten ins Visier genommen. Für Kosmetik wie für Ferien, für E-Bikes, Sportwagen wie für Mode.


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