SELBSTVERSTÄNDNIS
Ist 50 wirklich das neue 30? Oder doch 40?
Ist 50 also das neue 30?, fragt „noz.de“. Galt der 50. Geburtstag früher als Startschuss für die Rentenplanung, ist es in der Wahrnehmung vieler heute eher ein Alter, in dem die Menschen noch einmal richtig durchstarten. Sowohl privat als auch beruflich: Marathonlauf, grosse Fernreisen oder ein neuer Job - für viele, die vor 30 Jahren 50 waren, ist das undenkbar.
Für die "Babyboomer"-Generation ist es dagegen nichts Ungewöhnliches. Grossmütter laufen in Chucks (Turnschuhe, die früher für Rebellion standen) ihren Enkelkindern im Stadtpark hinterher, und beim Rockkonzert johlen sie ganz selbstverständlich alle Texte mit.
"Unsere Eltern kiffen mehr als wir, wie soll man da rebellieren?", fragt die Chemnitzer Rockband "Kraftklub" in ihrem Lied "Zu jung" und bringt damit auf den Punkt, was viele junge Menschen denken. Die heute 50-Jährigen wirken viel jünger als die vor 20 oder 30 Jahren.
Doch stimmt das eigentlich, oder täuscht uns dieser Eindruck? "Ja und nein", sagt Prof. Dr. Stephan Lessenich , Soziologe an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena. Er forscht dort im Arbeitsbereich Vergleichende Gesellschafts- und Kulturanalyse und beschäftigt sich mit Menschen in alternden Gesellschaften.
"Insgesamt gibt es bei uns einen gesellschaftlichen Drang, das Alter immer weiter nach hinten zu schieben und die Jugendlichkeitsphase auszudehnen", meint Lessenich. Das sei darin begründet, dass heute 50-Jährige im Schnitt gesünder und besser gebildet seien, insgesamt länger leben, aber auch generell eine ganz andere Lebensführung hätten als 50-Jährige vor 30 oder 60 Jahren.
"Das ist aber natürlich eine Durchschnittsangabe. Man kann nicht von einzelnen auf alle 50-Jährigen schliessen", so der Soziologe. Es gebe eine grosse Bandbreite an unterschiedlichen Zuständen im Hinblick auf Gesundheit, Bildung und Vermögen von Menschen im 50. Lebensjahr.
"Es gibt viele, die deutlich jünger wirken als frühere 50-Jährige, weil sie gesund und aktiv sind und auch eine gewisse materielle Ausstattung haben. Deshalb ist der Eindruck insgesamt nicht falsch", meint Lessenich, aber: "Wir haben auch viele 50-Jährige in unserer Gesellschaft, die schon lange chronisch krank sind oder langzeitarbeitslos.
Von diesen Menschen werden wir meist nicht behaupten, dass sie wie 40 oder 30 aussehen", erklärt der Soziologe. Häufig würden die positiven Beispiele verallgemeinert. Grund dafür ist seiner Ansicht nach, dass wir nur die marathonlaufenden 50-Jährigen in der Öffentlichkeit wahrnehmen und die, die Rockkonzerte besuchen oder in Turnschuhen ihren Enkeln im Park hinterherlaufen.
"Doch die, die schon einen Rollator brauchen, weil sie durch eine Krankheit gezeichnet sind, tauchen in der Öffentlichkeit nicht auf, weil sie zu Hause bleiben", meint der Soziologe. Er glaubt, dass für den durchschnittlichen Mitbürger der 50. Geburtstag immer noch eher ein Krisendatum ist: "Für Frauen steht mit 50 meist fest, dass sie endgültig keine Kinder mehr bekommen können, und beide Geschlechter rutschen in diesem Alter schon in den Status des älteren Arbeitnehmers."
Denn obwohl die Lebenserwartung der Menschen immer weiter steige, würden 50-Jährige in vielen Arbeitsmarktsegmenten bereits als schwer vermittelbar gelten: "Der Jugendkult in den Betrieben und auf dem Arbeitsmarkt ist noch nicht gebrochen, obwohl wir eigentlich wissen, dass Alterung unsere Zukunft ist", kritisiert er.
Doch viele aus der "Babyboomer"-Generation sehen ihr eignes Alter auch sehr positiv. Sie geniessen ihre neu gewonnene Freiheit, weil die Kinder aus dem Haus sind und sie nun lang gehegte Träume erfüllen können. "Diese Konstellation rückt im mittleren Alter tatsächlich häufig in den Vordergrund.
Aber es hängt natürlich auch von der jeweiligen Ressourcenausstattung ab", gibt der Soziologe zu bedenken. Diese Situation sei vor allem für höher Gebildete typisch. Längst nicht jeder 50-Jährige hätte die materiellen Möglichkeiten, um sich Träume zu erfüllen.
"Zudem kommt es nicht selten vor, dass die Kinder zwar ausgezogen sind, dafür aber ein Elternteil pflegebedürftig wird. Solche Situationen werfen dann häufig die Pläne, die man vorher geschmiedet hat, wieder um", so Lessenich. Fazit: Viele Menschen mittleren Alters sind heute viel fitter und gesunder als früher und haben zudem die materiellen Möglichkeiten, ihr Leben zu geniessen.
In dieser Hinsicht ist 50 sicherlich das neue 30. Doch diese Situation trifft nicht auf die ganze Generation zu: Viele sind auch gesundheitlich angeschlagen oder arbeitslos. Für sie ist der 50. Geburtstag eher ein Krisendatum.
www.noz.de