KRIMINALITÄT
Im Senioren-Gefängnis der ü50
Aber was läuft dort anders? Die Antwort steht im «Südkurier».
Die Arbeit ist getan, jetzt kommt die Freizeit. Neben Walter - der eigentlich anders heisst - steht eine Tasse Kaffee auf dem kleinen Holztisch, vor ihm liegt eine Zeitschrift mit Kreuzworträtseln. Er habe es sich gemütlich gemacht, sagt der 82-Jährige.
Soweit man es sich eben gemütlich machen kann in einer Gefängniszelle. Denn Walter ist Insasse im Gefängnis in Singen, einer Aussenstelle der Justizvollzugsanstalt Konstanz. Dorthin kommen nur Männer, die beim Antritt ihrer Strafe älter als 62 Jahre alt sind und in Baden-Württemberg eine Haft von über 15 Monaten absitzen müssen.
Ein Jahr habe er schon hinter sich gebracht, fünf lägen noch vor ihm, sagt der 82-Jährige, der wegen Raubüberfällen verurteilt wurde. Vormittags arbeitet er mit den anderen Insassen im Gefängnisbetrieb, sie führen einfache Montage- und Verpackungsarbeiten für Firmen aus.
Den Nachmittag kann der Senior frei gestalten - es gibt verschiedene Freizeit- und Sportangebote extra für Ältere. Dass die JVA sich auf Senioren spezialisiert habe, helfe ihm, sagt er. "Auch wenn ein Gefängnis ein Gefängnis bleibt. Man ist halt eingesperrt."
Aber warum gibt es überhaupt eine JVA für alte Kriminelle?
"Im normalen Vollzug würden sie eher an den Rand gedrängt", sagt der Dienstleiter der JVA-Aussenstelle, Thomas Maus. In Singen sind daher manche Regeln im Vergleich zu anderen JVAs etwas lockerer: Die Insassen können sich tagsüber frei in dem Gefängnis bewegen.
Ausserdem dürfen sie pro Monat sechs statt einer Stunde Besuch empfangen. Denn anders als bei jungen Strafgefangenen gehe es nicht darum, die Insassen in Ausbildung oder Beruf zu bringen, sagt Maus. "Es ist wichtiger, die sozialen Kontakte zu erhalten, damit nach der Entlassung im Alter ein Leben ohne Straftaten gelingt."
Maus betont aber auch: "Es ist nicht unsere Aufgabe, den Vollzug privilegierter oder bequemer zu gestalten." In Singen gehe es vor allem darum, die Senioren mobil zu halten. "Wir fordern viel", sagt Maus. So würden die Insassen ständig dazu motiviert, an den Angeboten teilzunehmen - statt in der Zelle zu sitzen.
Neben der Arbeit gibt es beispielsweise Bastel-, Gymnastik- oder Gesangskurse. Die Männer würden dazu angehalten, während der Haft ihre Straftat aufzuarbeiten. "Hier kann keiner in der Masse verschwinden."
Einzige Senioren-Abteilung in Deutschland
Der baden-württembergische Justizminister Guido Wolf (CDU) sagt: "Es macht schon Sinn, ältere Gefangene zusammen in einer solchen Vollzugsanstalt unterzubringen. Das heisst aber nicht, dass wir in den anderen Anstalten keine älteren Häftlinge mehr hätten."
Die JVA-Aussenstelle Singen ist nach Angaben des Ministeriums derzeit die einzige mit spezieller Senioren-Abteilung in Deutschland. In Singen sind 43 Insassen untergebracht - Kapazität gibt es für 48. Gefangene, die pflegebedürftig werden und in Singen nicht mehr betreut und versorgt werden können, kommen in das Justizvollzugskrankenhaus Hohenasperg.
Momentan sei der älteste Häftling in Singen 85 Jahre alt, der jüngste 62, sagt Maus. Die Insassen seien zu je einem Drittel wegen Betrugs, sexuellen Missbrauchs und Gewaltstraftaten verurteilt worden. Bei letzterem gehe es mitunter sowohl um Körperverletzung als auch um Mord, oft innerhalb des eigenen Umfeldes.
"Ich habe das subjektive Gefühl, dass schwere Delikte bei älteren Menschen tendenziell tatsächlich zunehmen", sagt der Tübinger Gerichtsgutachter Peter Winckler. "Ob sich das auch in den objektiven Zahlen widerspiegelt, kann ich aber nicht sagen."
Wenn er in einem Gerichtsverfahren ein Gutachten zu einem Angeklagten erstelle, gebe es durchaus Unterschiede, ob es sich um einen jungen oder einen alten Beschuldigten handle. "Ich frage auch einen 30-Jährigen, ob bei ihm Krankheiten vorliegen. Bei jungen Menschen bekomme ich aber eher negative Antworten, während bei den 70-Jährigen fast alle irgendwelche Pillen verordnet bekommen haben."
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