BETRUG
Fehlendes Bauchgefühl von Senioren
Sie geben sich als Enkel oder Bekannte aus und erschleichen sich Vertrauen und Erspartes - oft mit Erfolg, wie aktuelle Fälle in Deutschland und der Schweiz zeigen. Forscher haben nun eine Erklärung gefunden, warum Gauner bei Senioren häufig leichtes Spiel haben.
«Kann ich Ihnen die Tasche abnehmen?», so oder so ähnlich versuchen Trickbetrüger an das Geld älterer Menschen heranzukommen. Sie geben vor, der lang verschollene Enkel zu sein oder helfen zu wollen und plündern dann das Portemonnaie oder gleich das ganze Bankkonto ihrer Opfer.
Aber warum fallen ausgerechnet lebenserfahrene ältere Menschen so häufig auf Betrugsmaschen herein? Forscher glauben jetzt, eine Erklärung gefunden zu haben. Laut einer aktuellen Studie können ältere Menschen schlechter als jüngere am Gesicht erkennen, ob ein Mensch vertrauenswürdig ist. Das wiederum liegt daran, dass im Alter die Aktivität einer Gehirnregion nachlasse, die normalerweise wie ein Frühwarnsystem ein ungutes Bauchgefühl vermittle, berichten amerikanische Wissenschaftler in den Proceedings of the National Academy of Sciences.
Die Forscher machten zwei Experimente: Zunächst zeigten sie 119 Personen im Alter zwischen 55 und 84 Jahren und 24 jungen Vergleichspersonen 30 Fotos mit frontal abgebildeten Gesichtern. Auf einer Skala mussten die Probanden die Gesichter als vertrauenswürdig, neutral oder nicht vertrauenswürdig einstufen. Feine Signale in der Mimik verraten betrügerische Absichten.
Welche der Fotos richtigerweise mit welchen Eigenschaften in Verbindung gebracht werden sollten, übernahmen die Forscher aus einer Studie anderer Forscher von 1998. Damals hatten Probanden bereits hundert Gesichter auf ihre Glaubwürdigkeit hin bewertet. Glaubwürdigkeit sei eine gute Messgrösse, da sie von den meisten Menschen ähnlich eingeschätzt werde - anders als Attribute, wie nett oder gut, argumentierten die Forscher damals.
In der aktuellen Studie stellte sich heraus, dass Senioren vertrauenswürdige und neutrale Personen genau wie die jüngere Testgruppe einstuften. Portraits von wenig vertrauenswürdigen Menschen beurteilten die Älteren jedoch zu positiv. Die Testgruppe machte kaum einen Unterschied zwischen wenig vertrauenswürdigen und anderen Gesichtern.
Das deute darauf hin, dass ältere Erwachsene die feinen mimischen Signale, anhand derer wir bei anderen Verstellung oder Unehrlichkeit erkennen, weniger gut wahrnehmen als jüngere. «Das kann das falsche Lächeln sein oder ein ausweichender Blick», erklärt Studienleiterin Shelley Taylor von der University of California in Los Angeles.
Älteren Menschen fehlt das richtige Bauchgefühl. Nun wollten die Forscher herausfinden, woher die Wahrnehmungsschwierigkeiten kommen. In einem zweiten Versuch schoben sie 23 ältere und 21 jüngere Versuchspersonen in einen Magnetresonanztomografen (MRT) und liessen sie dort Gesichter auf Fotos beurteilen.
Bei den jüngeren Erwachsenen war beim Beurteilen der Bilder und vor allem beim Betrachten von wenig vertrauenswürdigen Gesichtern eine bestimmte Region im Gehirn aktiv: die anteriore Insula. Bei den Älteren hingegen blieb es in der Hirnregion vergleichsweise ruhig.
Aus früheren Untersuchungen ist bekannt, dass die anteriore Insula bei Gefühlen von Abneigung oder bei der Bewertung von Risiken eine Rolle spielt. Sie nimmt innere Gefühle wahr, interpretiert diese für das Gehirn und ist so vermutlich an der Entstehung eines Bauchgefühls beteiligt. «Bei den älteren Menschen ist das Frühwarnsignal der anterioren Insula schwächer; ihre Gehirne melden nicht im gleichen Masse wie bei jüngeren: 'Sei vorsichtig!'», erklärt Taylor.
In den USA ist Bürgern über 60 Jahren laut einer aktuellen Studie im Jahr 2010 durch Betrügereien ein finanzieller Schaden in Höhe von mindestens 2,9 Milliarden US-Dollar entstanden, angefangen von kleineren Schwindeleien bei Haushaltsreparaturen bis hin zu ausgemachten Betrugsdelikten.
Die Forscher fanden aber auch einen positiven Nebeneffekt der Vertrauensseligkeit älterer Menschen: Sie trage vermutlich zum Wohlbefinden bei. Senioren seien vielen Untersuchungen zufolge glücklicher mit ihrem Leben, empfänden negative Gefühle weniger stark oder behielten positive Informationen besser als schlechte. «Die geringere Empfänglichkeit für negative Reize könnte auf positive Weise dazu beitragen, dass sich Senioren die meiste Zeit gut fühlen», schreiben die Forscher.
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