Ein Gefängnis nur für Seniorinnen und Senioren

Der älteste Gefangene im «Seniorenknast» ist 85 Jahre alt. Die deutschlandweit einmalige Anstalt in Baden-Württemberg ist auf Senioren spezialisiert.
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Keine harmlose Generation: Für sie müssen die Behörden eigene Gefängnisse bauen (Bild: Fotolia)

Die Zahl alter Häftlinge steigt - eine Herausforderung für die Gesellschaft, wie die "dpa" schreibt.

Vor 52 Jahren hat Hans-Georg Neumann zwei Menschen erschossen. Inzwischen hat der 77-Jährige mehr als zwei Drittel seines Lebens im Gefängnis verbracht. In diesen Wochen berät das Oberlandesgericht Karlsruhe über seinen Antrag, die lebenslange Freiheitsstrafe zur Bewährung auszusetzen.

Die Entscheidung zieht sich hin. Der Fall ist symptomatisch: Die Zahl der Häftlinge über 60 Jahren hat sich deutschlandweit seit 1995 mehr als verdreifacht, auf 2118. Allein in Baden-Württemberg sind es 239. Der Bochumer Kriminologe Michael Alex sieht in dieser Entwicklung neben demografischen auch gesellschaftliche Ursachen.

"Die Sicherheitslage hat sich nicht verschlechtert, aber die Aufregung über schwere Delikte hat sich erhöht", sagt der Wissenschaftler. "Straftäter sind in einer verunsicherten Gesellschaft ideale Sündenböcke, an denen man sich abarbeiten kann."

Die Justiz mache immer weniger von den unterschiedlichen Möglichkeiten Gebrauch, Straftäter vorzeitig freizulassen. "Die Zahl der Häftlinge in Sicherungsverwahrung ist seit 1996 um das Dreifache gestiegen, viele Menschen sterben inzwischen im Vollzug."

In Deutschland gibt es nur ein Gefängnis, das speziell auf die Unterbringung alter Häftlinge ausgerichtet ist: In Singen werden Gefangene aufgenommen, die mindestens 62 Jahre alt und noch eine Haftzeit von wenigstens 15 Monaten haben.

Die 48 Haftplätze in der Aussenstelle der JVA Konstanz sind mit 50 Gefangenen mehr als ausgebucht. "Wir sind kein Altenheim", betont der Leiter des Singener Gefängnisses, Thomas Maus. "Aber ältere Gefangene brauchen eine spezielle Betreuung."

Der älteste Gefangene in Singen ist 85 Jahre alt. Das Durchschnittsalter ist nach Angaben von Maus in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen und liegt jetzt bei etwa 70 Jahren. Alte Häftlinge hätten oft Angst vor Jüngeren, weil im Vollzug das Recht des Stärkeren gelte, erklärt Maus.

"Sie sind haftempfindlicher und haben ein grösseres Ruhebedürfnis." In Singen seien sie unter sich und könnten sich mit Gleichaltrigen austauschen. Der Tag im Gefängnis ist eingeteilt in Arbeitszeit, Freizeit und Ruhezeit. Den Gefangenen werden unter anderem Sport, Musik und Gedächtnistraining angeboten.

Demente Häftlinge werden in das Justizkrankenhaus Hohenasperg verlegt. "Das sind bisher nur wenige Fälle", erklärt Ministerialrat Rüdiger Wulf, der im Stuttgarter Justizministerium für die Vollzugsgestaltung zuständig ist.

"Aber wir erwarten, dass wir künftig mehr demente Häftlinge haben werden, weil die demografische Entwicklung nicht vor dem Strafvollzug Halt macht." Strafe verliere ihren Sinn, sagt Wulf, wenn ein Strafgefangener unter körperlicher Gebrechlichkeit oder geistiger Schwäche leide und ihm dann gar nicht mehr bewusst sei, dass er im Strafvollzug sei.

"Es ist traurig, wenn jemand nicht mehr den natürlichen Willen hat, in Freiheit zu kommen und auch in Freiheit zu sterben", sagt Wulf. "Das sind schädliche Folgen eines langen Freiheitsvollzugs." Dies zu vermeiden, sei gesetzlicher Auftrag. Der Jurist sieht im Umgang mit alternden Häftlingen eine Aufgabe für die ganze Gesellschaft. Wichtig sei das Engagement von ehrenamtlichen Betreuern, die Kontakt zu Gefangenen halten.

"Das Gefühl, vergessen zu sein, ist mit das Schlimmste, was Gefangene zu erleiden haben." Bei der Entscheidung über eine vorzeitige Beendigung der Haftzeit steht die Justiz vor der Abwägung von unterschiedlichen Rechtsgütern.

"Auf der einen Seite steht der Freiheitsanspruch des Inhaftierten, der verfassungrechtlich abgesichert ist und mit zunehmender Dauer der Freiheitsentziehung an Gewicht gewinnt", erklärt Richter Ralf Kraus am Oberlandesgericht Karlsruhe.

"Auf der anderen Seite haben wir die Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit." Der Kriminologe Alex untersucht dies schon länger. Sein Ergebnis: "Etwa 85 Prozent der Häftlinge in der Sicherungsverwahrung oder in lebenslanger Haft werden von uns eingesperrt, ohne dass sie noch gefährlich sind."


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