WERBEINDUSTRIE
Die Generation 55plus ist auf dem Vormarsch
Vor 31 Jahren hat die Uno den 1. Oktober zum Weltseniorentag ausgerufen, um die Leistungen der Älteren zu würdigen und auf ihre Lebenssituation aufmerksam zu machen. Aber viel haben derlei Unterstützung gar nicht mehr nötig. Gelassen, stilsicher, weltoffen: Einer, an dem man die Faszination für Ältere gut beschreiben kann, ist etwa der Kreuzberger Günther Anton Krabbenhöft.
Der 70-Jährige, stets im feinsten Zwirn mit Fliege, Weste und Melone gekleidet, tingelte in den vergangenen Wochen durch die Fernsehlandschaft, landete sogar in der Kartei einer grossen Modelagentur. Der vorläufige Höhepunkt war ein Fotoshooting für ein japanisches Modelabel, dessen Katalog-Titelseite er nun schmückt. Zu diesem überraschenden Erfolg kam es, weil der gelernte Koch sich eines Tages auf einem U-Bahnsteig von einem Touristenpärchen fotografieren liess. Sein Bild verbreitete sich wie ein Lauffeuer im Internet.
Krabbenhöft tut es vielen seiner Generation gleich. Siebzigjährige, die angefangen bei Facebook durch alle sozialen Netzwerke laufen, durch die Modeblogs und die plötzlich ihre 15 Minuten Ruhm als Stilikonen der jungen Leute auskosten. Sein jungen Fans verehren ihn dafür. Denn Krabbenhöft trägt nicht nur, sondern lebt seinen Stil. Er feiert in den Szene-Clubs wie das "Berghain", fährt mit seiner Hausgemeinschaft in den Urlaub. Bei Twitter schreibt er selbstbewusst: "Leider haben viele Leute Angst davor, gut auszusehen." Auf Instagram jubelt er, dass er die eine Millionen-Fan-Marke geknackt hat. Wenn der mittlerweile 74 Jahre alte Kult-Filmregisseur Klaus Lemke seinen Stil beschreibt, dann ist das hart per SMS in den Block diktiert und klingt so: "Wir umhüllten uns mit fiebrig schäbiger Eleganz, hingelümmelt aufs Sprungbrett ins Nirwana."
Und wenn man ihn in zerrissenen Jeans, gebügeltem weissen T-Shirt, Schiebermütze tief im Gesicht, die Baseballtasche über der Schulter durch München-Schwabing spazieren gehen sieht, dann weiss man, wie das Bild zu diesem Spruch aussehen muss.
Ein Mann, der sich ähnlich stilvoll gibt, ist der 83-jährige Schneider Ali aus Berlin-Neukölln. Ein halbes Jahr lang erklärte die 31-jährige Fotografin Zoe Spawton es zu ihrem Hobby, den gut gekleideten türkischen Senioren in seinen mehr als 100 massgeschneiderten Anzügen zu fotografieren. Über ihren Blog "What Ali wore" ("Was Ali trug") berichteten sogar US-Fernsehsender.
Doch was macht die Silver Surfer, wie die Werbeindustrie die jugendlichen Senioren nennt, so hip? Wieso ist diese Generation ab 55 Jahren gesellschaftlich so auf dem Vormarsch, dass sie plötzlich generationsübergreifend in allen Bereichen des sozialen Lebens mitmischt? "Man muss immer gut angezogen sein, weil man nie weiss, was passiert", das ist Alis Devise.
Eine Aussage, die den Entscheidern in der Werbeindustrie, die die Best Agers mehr und mehr umwirbt, gefallen würde. Denn für den Konsumentenmarkt wird die Generation ab 50 plus immer wichtiger.
Die Fakten: 2014 lebten in fast jedem dritten der 40,2 Millionen Privathaushalte in der Bundesrepublik Senioren. 17,85 Millionen Menschen bezogen im vergangenen Jahr eine Altersrente, die im Mittel 1314,45 Euro in den alten Bundesländern betrug, in den neuen 1217,25 Euro. Für die Werbeindustrie bedeutet das im Umkehrschluss also, seine Produktpalette dem Markt "50 plus" anzupassen.
Doch nicht nur als Konsumenten sind ältere Menschen aktiv. Jeder zweite Gasthörer an deutschen Hochschulen ist mindestens 60 Jahre alt. Altersforscher Christoph Englert erklärt das Phänomen der aktiven Best Agers mit einer gesellschaftlichen Notwendigkeit, den Jugendwahn hinter sich zu lassen. "Bald wird fast die Hälfte der Deutschen über 50 Jahre sein, die Lebenserwartung nimmt weiter zu, da ist klar, dass der Fokus jetzt auf dieser Altersgruppe liegt."
"Wenn ich alt bin, werde ich Model", nannte Christa Höhs, Gründerin der Modelagentur für Senioren, ihr Buch, in dem sie schreibt, warum sich ältere Menschen nicht klein machen sollten. "Ich habe kein Schönheitsrezept." Doch was hat die Generation der sexy Siebziger heute so jung gehalten? Klaus Lemke erklärt das so: "Wir konnten uns keine Welt vorstellen, in der wir nicht die Grössten waren." Das ist auch heute noch so geblieben.