Babyboomer sind auf dem Vormarsch

Stille Wasser sind manchmal tief. Dieser Ausspruch trifft auch auf den Schweizer Arbeitsmarkt zu, der sich als dynamisch erweist.
Babyboomer sind auf dem Vormarsch
50plus haben es nicht immer einfach, wieder eine Arbeit zu finden.

Davon profitieren jedoch nicht alle Altersgruppen – auch wenn sich die «Generation 50+» trotz vielen Diskussionen gut schlägt, schreibt Matthias Müller auf «nzz.ch».

Die Mehrzahl der Arbeitslosen findet relativ schnell wieder eine Stelle, einer Minderheit fällt es jedoch schwer, am Arbeitsmarkt unterzukommen. Dabei handle es sich in erster Linie um ältere Erwerbspersonen, schreibt Sheldon.

Für diese Altersgruppe gilt die Faustregel: Sie werden seltener arbeitslos, doch wenn es sie trifft, tun sie sich schwerer als die Jüngeren, wieder einen Arbeitsplatz zu finden.

Vor diesem Hintergrund sind die derzeitigen Diskussionen zu sehen, ob sich gegenüber der Vergangenheit die Chancen der "Generation 50+" am Arbeitsmarkt verschlechtert haben.

Das Thema findet auch deshalb mediale Aufmerksamkeit, weil die Babyboomer - 1964 wurden so viele Menschen wie nie zuvor und danach in der Schweiz geboren - inzwischen dieser Altersgruppe angehören und allein durch ihre grosse Zahl von der Öffentlichkeit und der Politik wahrgenommen werden.

In den kommenden Jahren rollt also - als mittelfristiger Aspekt - eine demografische Lawine auf die Schweiz zu, wenn in nicht mehr allzu ferner Zeit die Babyboomer peu à peu in Rente gehen und dem Arbeitsmarkt fehlen werden.

Kurzfristig erhöht sich laut dem Leiter der Direktion für Arbeit beim Seco, Boris Zürcher, zwar der absolute Anteil der 50- bis 64-Jährigen an den Arbeitslosen, doch der relative Anteil bleibt konstant: So hatten sich im Durchschnitt des Jahres 2003 etwas mehr als 27 000 Personen, die 50 Jahre und älter waren, bei einem RAV gemeldet; die Arbeitslosenquote belief sich im Jahresdurchschnitt auf 2,8%.

Zehn Jahre später gab es laut Seco annähernd 32 000 Arbeitslose im Alter zwischen 50 und 64 Jahren - bei einer durchschnittlichen Arbeitslosenquote von 2,6%.

Für die 15- bis 24-Jährigen sowie für die 25- bis 49-Jährigen betrug der - durchschnittliche - Wert im vergangenen Jahr jeweils 3,4%. An den Seco-Zahlen wird oft kritisiert, dass sie die bei keinem RAV gemeldeten Ausgesteuerten nicht erfassen.

Damit schimmert auch der Vorwurf durch, vor allem die älteren Arbeitslosen würden nicht länger von der Statistik erfasst, wodurch deren tatsächliche Lage weitaus prekärer sei als vom Seco ausgewiesen.

Doch auch für diese These gibt es keinen stichhaltigen Beleg - auch wenn die Altersgruppe der 50- bis 64-Jährigen im vergangenen Jahr bei den Ausgesteuerten leicht übervertreten war.

Setzt man die Zahlen für die einzelnen Kohorten ins Verhältnis zum Total der Ausgesteuerten, belief sich der Anteil der Älteren auf 27,2%, jener der 25- bis 49-Jährigen lag bei 59,9%, und jener der 15- bis 24-Jährigen betrug 12,9%.

Welche Anteile haben diese Altersgruppen am durchschnittlichen Arbeitslosenbestand? Der Wert für die Jüngsten lag 2013 bei 13,9%, jener für die 25- bis 49-Jährigen betrug 62,8%, und der Anteil der Älteren belief sich auf 23,4%.

Die vorgebrachte Kritik, es falle den Älteren immer schwerer, in der Schweiz einen Job zu finden, lässt sich auch durch einen Blick in die Zahlen des Bundesamts für Statistik (BfS) nicht bestätigen.

Die Statistikbehörde erfasst im Gegensatz zum Seco in ihrer Stichprobe auch all jene Arbeitslosen, die ausgesteuert und nicht länger bei einem RAV gemeldet sind.

Auch wenn das BfS die Altersgruppen anders einteilt als das Seco (55- bis 64-Jährige contra 50- bis 64-Jährige), wird ersichtlich, dass die Arbeitslosigkeit unter den älteren Schweizer Erwerbspersonen seit Jahren um einen Wert von 2% schwankt, während jener für die ausländischen Altersgenossen mit 11,0% im zweiten Quartal 2014 deutlich höher lag.

Dies ist vor allem eine Folge der Zuwanderung der oft geringqualifizierten Arbeitskräfte in den achtziger und neunziger Jahren im Zuge des alten Regimes. Schliesslich ist bei den Diskussionen über die Arbeitsmarktchancen der "Generation 50+" die These zu hören, viele von ihnen würden wegen der ausweglosen Situation den Weg in die Selbständigkeit wählen, um überhaupt wieder einer beruflichen Tätigkeit nachgehen zu können.

Folgt man dieser Logik, müsste in den vergangenen Jahren die Zahl der Selbständigen deutlich zugenommen haben. Ein Blick in die BfS-Zahlen über den Erwerbsstatus der ständigen Wohnbevölkerung in der Schweiz zeigt jedoch, dass seit 18 Jahren die Selbständigenquote der 55- bis 64-Jährigen bei rund 15% liegt.

Anlass zur Sorge gibt jedoch die schweizerische Sozialhilfestatistik, auch wenn die Sozialhilfequote der 56-Jährigen und Älteren im Vergleich mit den jüngeren Kohorten am niedrigsten ist; seit Jahren steigt der Anteil der Sozialhilfebezüger im Alter zwischen 46 und 64 Jahren.

"Gelangen einmal die älteren Beziehenden zwischen 46 und 64 Jahren in die Sozialhilfe, ist es schwierig für sie, wieder auf dem Arbeitsmarkt Fuss zu fassen", heisst es denn auch in der "Sozialhilfestatistik 2012" des BfS.

Der Schweizer Arbeitsmarkt weist also auch Schattenseiten auf. Indirekt spielen die Statistiker damit darauf an, dass in einer zunehmend auf Spezialisten angewiesenen Wirtschaft die Qualifikation ein zentrales Kriterium ist, ob jemand arbeitslos wird.

In diesem Punkt hinken die älteren Arbeitnehmer den jüngeren Kollegen jedoch hinterher. Nach den Zahlen des BfS über den Bildungsstand der ständigen Wohnbevölkerung hatten im vergangenen Jahr "nur" noch 9,7% der 25- bis 34-Jährigen allein einen obligatorischen Schulabschluss, während der Anteil unter den 55- bis 64-Jährigen mit 16,9% fast doppelt so hoch war; dagegen wiesen 43,8% der 25- bis 34-Jährigen einen Abschluss auf Tertiärstufe (höhere Berufsbildung sowie Hochschule) auf - der Vergleichswert für die 55- bis 64-Jährigen lag bei 23,1%.

Diese Zahlen bestätigen die von der Zürcher Kantonalbank in Auftrag gegebene Studie "Arbeit in der alternden Gesellschaft", in der es heisst: In der Regel weise jede Generation einen höheren Bildungsstand auf als die Vorgängergeneration.

In den Fokus von Arbeitgebern und Arbeitnehmern müsste deshalb in den kommenden Jahren verstärkt das Thema Weiterbildung rücken, auch weil mit zunehmendem Alter weniger Personen an solchen Aktivitäten teilnehmen, wie aus der BfS-Publikation über Weiterbildungsaktivitäten hervorgeht.

Die Arbeitgeber können mit diesen Massnahmen Personal bei der Stange halten, was angesichts des demografischen Wandels und der angenommenen "Masseneinwanderungsinitiative" ein Gebot der Stunde sein sollte.

Und die älteren Arbeitnehmer erhöhen damit in einer sich schnell wandelnden Arbeitswelt ihre Chancen, für die Unternehmen attraktiv zu bleiben. Weiterbildung ist also in deren ureigenstem Interesse.

Vielfach wird in der Diskussion über die Möglichkeiten der "Generation 50+" am Arbeitsmarkt auch über deren angeblich zu hohe Löhne diskutiert. Diverse Ökonomen regen deshalb Lohnkürzungen bei älteren Arbeitnehmern an; ein Vorschlag, der jedoch stutzig macht, denn Arbeitsmarktexperten verweisen im Rahmen der Effizienzlohntheorie auch gerne darauf, wie negativ sich Lohnsenkungen auf die Moral und damit auf die Produktivität von Arbeitskräften auswirken.

Ein Argument für Lohnkürzungen könnte nachlassende Produktivität im Alter sein. Doch es gibt diverse Studien, die zu dem Ergebnis kommen, dass Produktivität und Zuverlässigkeit der älteren Beschäftigten unter dem Strich höher sind als die der jungen, wie der Direktor des Munich Center for the Economics of Aging am Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik,Axel Börsch-Supan, sagt.

Allerdings ist zu hinterfragen, ob die mit steigendem Alter zunehmenden Beiträge in die zweite Säule noch zeitgemäss sind. Dadurch verteuert sich der Faktor Arbeit, und im Umkehrschluss sinken für die Arbeitgeber die Anreize, ältere Arbeitnehmer zu halten oder einzustellen.

Rufe nach dem regulierenden Staat sollten aber wohldosiert erfolgen. Bisher hat sich der Arbeitsmarkt auch für die Mehrzahl der älteren Arbeitnehmer erfreulich entwickelt, weil man sich mit schädlichen Eingriffen in die liberale Ordnung zurückgehalten hat.

Davon profitiert das Land in Form einer niedrigen Arbeitslosenquote, hinter der eine grosse Dynamik steckt.


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