GENERATION-CLASH
«Beneiden Sie uns, weil wir global sind?»
Die Nachwuchsjournalistin und der bekannte Autor stellen sich deshalb im «Blick am Abend» gegenseitig Fragen, um den Generation-Clash etwas abzufedern - oder sich gar gegenseitig zu verstehen.
"Young Küken" Joëlle Weil fragt:
Lieber Herr Ramspeck,
aktuell weile ich in New York. Dass ich auf der anderen Seite der Welt bin, fällt mir kaum auf: Die Kaffee-Becher sind dieselben wie in Zürich, die Musik, die im Hintergrund spielt ebenfalls und meine Altersgenossen rennen wie ich in Jeans und Nike Air Max durch die Strassen. Die Welt ist unser Zuhause. Beneiden Sie uns, weil wir so global sind? Weil wir eine Generation sind, die sich überkontinental und wortlos versteht?
"Elder Statesman" Jürg Ramspeck antwortet:
Liebe Joëlle
Anstelle einer Antwort möchte ich dir von einer kleinen Begebenheit berichten, die sich um das Jahr 1960 zutrug. Schauplatz: ein rundes Tischchen vor dem Café "Select" am Limmatquai. Ich sass dort mit Gody Suter, meinem damaligen Chef bei der "Weltwoche", und mit dessen Freund Max Frisch, der soeben von einem längeren Aufenthalt in New York nach Zürich zurückgekehrt war. Da kam zufällig der grossartige Schauspieler Ernst Schroeder daher, erblickte uns und rief: "Guten Tag Frisch! War es nur schrecklich, oder hatten Sie auch positive Eindrücke?" Von seinen positiven Eindrücken hatte Frisch gerade erzählt, und Schroeders Begrüssung erheiterte ihn ausserordentlich. Weil hier ein ohne Frage blitzgescheiter Mensch in wenigen Worten die Auffassung kundtat, die eine weltunerfahrene Generation damals von Amerika hatte: alles Wolkenkratzer, primitive Bewohner, kulturelles Ödland. Bitte, in dieser Hinsicht sind europäische Snobs mittlerweile fast gänzlich verstummt. Wir sind jetzt, wie du es selbst erfährst, globalisiert. Trotzdem wünsche ich dir, New York nicht nur als eine vergrösserte Ausgabe von Zürich zu erleben - sonst hättest du ja auch zu Hause bleiben können.
www.blickamabend.ch