Anders altern als in früheren Jahren

So wie im 20. Jahrhundert die Jugend neu erfunden wurde, wird das 21. Jahrhundert das Alter neu erfinden. Die Fakten sind seit langem bekannt.
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Sie erwartet ein fröhlicheres Alter als die Generationen zuvor, sagt die Forschung (Bild: Fotolia)

Unsere Gesellschaft wird in den kommenden Jahrzehnten unausweichlich älter. Das bedeutet aber nicht zwangsläufig Generationenkrieg und Niedergang. Welche anderen Szenarien denkbar sind, haben die Forscher des Gottlieb-Duttweiler-Instituts in Rüschlikon bei Zürich in ihrer neuen Studie «Die Gesellschaft des langen Lebens» zusammengetragen. Eine älter werdende Welt und eine älter werdende Gesellschaft haben viele Vorteile: mehr Erfahrungen, Entschleunigung und höhere Glücksfähigkeit. Die Babyboomer, die geburtenstarken Jahrgänge der zwischen 1946 und 1964 Geborenen, lösten vor einem halben Jahrhundert einen globalen Jugendkult aus.

Nun bilden sie die Vorhut einer neuen Altersbewegung. Der Jugendkult hat seinen Höhepunkt überschritten. 2011 wurden die ältesten Babyboomer 65 Jahre alt, und seither schreitet das Älterwerden der westlichen Gesellschaften in bisher ungekannter Geschwindigkeit voran. In einer Gesellschaft, in der die Anzahl älterer Men-schen überwiegt, bekommen diese auch mehr soziales, kulturelles und wirtschaftliches Gewicht.

Wenn die Mehrheit der Bevölkerung über 50 ist, wird alt werden normal und fallen graue Haare und faltige Gesichter nicht mehr auf. Man wird überall Menschen begegnen, die gleich alt oder älter sind: bei der Arbeit, beim Einkaufen, im Restaurant, an der Universität etc. Die älteren Menschen bleiben sichtbar und sind überall präsent - als Kunden, als Mitarbeitende, als Chefin oder Chef, als Kommilitonen, als Umweltaktivisten, Musiker und als Liebespaare.

1965 sangen The Who: I hope I die before I get old. 2012 traten sie bei der Schlussfeier der Olympischen Sommerspiele in London auf. Auch viele andere Rockstars wie z.B. Tina Turner oder Mick Jagger stehen als (über) 70-Jährige noch auf der Bühne und begeistern das Publikum, das ebenfalls älter geworden ist.

Das alte Bild des Alters wurde in den letzten Jahren von der Realität überholt. Nicht nur ältere Rockstars, auch normale Menschen der Generation 70plus sind so vital wie nie zuvor. Sie reisen, bilden sich weiter, beraten, unterrichten, treiben Sport, unterstützen ihre Kinder und helfen in der Nachbarschaft. Wenn die Bevölkerung nicht mehr wächst und Fachleute nicht mehr durch Nach-wuchskräfte ersetzt werden können, werden die älteren Menschen beruflich länger aktiv bleiben.

Dadurch verändert sich auch unsere Kultur. Wir gehen von einer birthing culture oder first buy economy, in der alle hungrig sind und immer das Neuste haben wollen, in eine aging culture oder replacement economy, in der die Mehrheit satt ist und nur noch etwas Neues anschafft, wenn etwas Altes ersetzt werden muss. Der Konsum sinkt, andere Bedürfnisse rücken in den Vordergrund. Dies gilt auch für Lebensstile und Beziehungen, wo man mehr auf das Vertraute setzt.

Mit 50 erwarten wir nicht, dass wir gleich denken und handeln wie mit 20, und mit 80 erwarten wir nicht, dass wir uns gleich fühlen wie mit 50. Ähnliches gilt für die Gesellschaft: Eine Gesellschaft, in der das Durchschnittsalter und der Anteil der über 60-Jährigen stetig steigen, hat andere Bedürfnisse, Prioritäten und Präferenzen als eine Gesellschaft, in der die Mehrheit der Bevölkerung unter 30 ist. Wer schon alles hat (Haus, Auto, Kleider, Schmuck usw.), orientiert sich nicht mehr am letzten Schrei und den neusten technischen Spielereien, sondern konzentriert sich mehr auf Dinge, die ihm oder ihr wirklich wichtig sind.

Ältere Menschen sind abgeklärter, anspruchsvoller und haben mehr seriöse Themen, wie Würde, Weisheit, Erinnerungen, aber auch Krankheit und Tod. Diese Themen sind nicht unbedingt sexy für das Marketing, was sich jedoch zunehmend ändern wird. Eine wachsende Zahl von Produkten und Kampagnen zeigt, wie man mit Stil alt werden kann. Auch Lifestyle- und Fashion-Magazine gehen heute entspannter mit dem Thema Alter um und zeigen immer mehr interessante Menschen jeden Alters.

Sie präsentieren altersloses Design und scheuen sich auch nicht, vermehrt über Spitäler und Altersheime zu berichten. Entwicklungspsychologische Forschungen zeigen, dass sich Motivation und Emotionen im Laufe des Lebens ändern, und zwar hin zu grösserer Stabilität und mehr Gelassenheit. In der Jugend hat man Träume, die Zukunft ist offen und die Menschen sind motiviert weiterzukommen, ihren Horizont zu erweitern und in Bildung und neue Kontakte zu investieren.

Mit zunehmendem Alter verschiebt sich die Motivation: Die Erinnerung bekommt mehr Gewicht, man interessiert sich für und investiert immer mehr in Menschen und Projekte, die einem wirklich wichtig sind. Ältere Menschen wissen, was gut für sie ist. Im Unterschied zur Jugend werden im Alter weniger langfristige und mehr emotional bedeutungsvolle Ziele verfolgt. Ältere schaffen Situationen, in denen sie sich wohl fühlen, pflegen vor allem Kontakt mit Menschen, die sie mögen, und sie vermeiden Situationen und Personen, die negative Gefühle bei ihnen auslösen.

Sie bevorzugen nahe, vertraute Personen, die Gefühle der Verbundenheit bieten. Sie meiden Konflikte und sind flexibler bei der Problemlösung. Sie können ihre Emotionen besser regulieren als junge Menschen und kehren schneller von einer negativen Stimmung in eine positive zurück.

Wer heute mit 65 in Rente geht, hat noch 20 bis 30 gute und auch produktive Jahre vor sich. Die Voraussetzungen, etwas Neues zu schaffen waren noch nie so gut wie heute. Die Generation, die in den nächsten Jahren in Rente gehen wird, verfügt über genügend Ressourcen - finanzielles und soziales Kapital -, Wille und Fantasie, um die gewonnenen Jahre für sich und die Gesellschaft anders zu gestalten als mit abgegriffenen Seniorenaktivitäten, welche die Langeweile kaum überdecken.

Heutige Ältere sind imstande, sich die gewonnenen Jahre aktiv anzueignen und zu nutzen. Sie sind leistungswillig, kompetent und bereit sich zu engagieren. Mit dieser Perspektive kann das Alter zu einem echten persönlichen und gesellschaftlichen Gewinn werden.

Folgende Thesen haben die Forscher des Gottlieb-Duttweiler-Instituts entwickelt:

Altern

  • Fluid Life - Leben ohne Verfallsdaten Altern ist grenzenlos, es fängt nicht an und hört nicht auf; Phasen gehen ineinander über, biografische Kontinuität macht Altern heterogen und individuell; es gibt keine Kategorie Alter.
  • Permawork - Sinnfindung in der Tätigkeit Rente und Ruhestand sind Begriffe der Vergangenheit; das lange Leben bedingt neue Vorstellungen von Tätigkeit; neben und nach der Erwerbsarbeit sind wir aktiv und produktiv.

Wohnen

  • Stay Management - Der Platz der Alten ist vor Ort Heim und Daheim verschmelzen zu Quartieren; das Bedürfnis nach Mobilität im eigenen Umfeld ist konstant; Pflegeleistungen sind Teil eines einfach zu ordernden Service-Pakets.
  • Mobile Home - Der Platz der Alten ist die Welt Altern findet an mehreren Orten gleichzeitig statt, das Reisen hört nicht auf; es gibt überall auf der Welt Orte, die für das Altern unterwegs geschaffen sind; dort fühlt man sich zuhause.

Pflegen

  • Flexible Care - Pflegeperspektive Convenience Altern ist anstrengend, aufgrund der hohen Erwartungen an Ältere wird es immer anstrengender; es wächst das Bedürfnis nach Convenience-Angeboten, die das Altern vereinfachen.
  • Care-Tech - Roboter übernehmen immer mehr Pflegearbeit Roboter erledigen die unangenehmen Aufgaben der Pflege; sie ermöglichen ein Zusammenspiel von Fachkräften, Freiwilligen und sich selbst; sie sehen nicht "robotisch" aus.

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