15 Fragen an Jacqueline Fehr
«Ich bin eine erprobte Stehauf-Frau»
Was haben Sie im Leben erreicht?
Das Leben hat mir viele Chancen geschenkt. Ich habe sie meist genutzt und konnte damit das tun, was ich leidenschaftlich gerne tue – mit anderen Menschen zusammen die Spielregeln unseres Zusammenlebens gestalten, sprich Politik zu machen. Ich habe das Privileg, in einem Land geboren worden zu sein, das mir erlaubt, ohne Angst, ohne Not und ohne Bedrohungen zu leben. Das war für mich aber immer auch eine Verpflichtung: die herrschenden Verhältnisse zu hinterfragen und einen Beitrag zu deren Verbesserung zu leisten. Und das ist mir in einigen Bereichen tatsächlich auch gelungen.
Was haben Sie nicht erreicht, was Sie erreichen wollten?
Es gibt so vieles, was man ändern müsste, um unsere Gesellschaft gerechter und lebenswerter zu machen. Ich frage mich oft, ob ich mich genügend einsetze und mich am richtigen Ort einmische. Wann ist Widerspruch gegen unsere Flüchtlingspolitik zwingend? Wo sind die Grundrechte in Gefahr? Wie können wir mehr für das Wohl jener Kinder tun, die in schwierigen Verhältnissen leben? Tun wir genug für einen humanen Strafvollzug? Wie viel Zeit nehmen wir uns für Bürgerinnen und Bürger, die sich im Dschungel der Verwaltung nicht orientieren können?
Wenn Sie zurückblicken, auf was sind Sie besonders stolz?
Politisch auf den Durchbruch bei den Kinderkrippen und für die Einführung der Mutterschaftsversicherung vor knapp zwanzig Jahren. Persönlich, dass ich letztes Jahr den Pollux, meinen ersten Viertausender bestiegen habe.
Was haben Sie verpasst im Leben?
Ich halte es mit Herbert Grönemeyer: Das Leben kommt von vorn.
Was würden Sie gerne noch lernen?
Meine Impulsivität besser im Zaum zu halten – das hätte mir den einen oder anderen Ärger erspart.
Was kann man von Ihnen lernen?
Allianzen schmieden und Netzwerke pflegen – ohne bürgerliche Mitstreitende hätte ich zum Beispiel beim Thema Mutterschaftsversicherung nichts erreicht.
Wären Sie gerne nochmals 20?
Nein. Ich fand das Leben mit 20 ziemlich anstrengend und bin froh, dass ich all die grossen Lebensfragen für mich schon beantwortet habe. Zudem bin ich heute gelassener und ruhiger. Was nichts daran ändert, dass mir die Energie und die Power der heute Jungen – ich denke an die Frauen- oder an die Black-Lives-Matter-Bewegung – sehr imponieren.
Was würden Sie an Ihrem Leben ändern, wenn Sie könnten?
Wenig. Mein Leben ist privilegiert. Wenn ich mir abends beim Einschlafen überlege, wie erschreckend viele Menschen jetzt genau in diesem Moment Gewalt erleiden, Angst haben, hungrig sind oder nicht wissen, wie es weitergehen soll, finde ich mein Glück oft obszön.
Welches Motto würden Sie der Generation 50plus mit auf den Weg geben?
Denkt aus der Perspektive eurer Enkelinnen und Enkel. Und hört auf ihre Wünsche und Ängste. Die kleinen Wunder, die heute zur Welt kommen, werden das nächste Jahrhundert erleben. Für ihre Zukunft stellen wir heute die Weichen.
Was macht Ihnen Freude?
Wie viel Platz habe ich…? Der Kanton Zürich, Winterthur, speziell die FC Winterthur Frauen, der Austausch mit den verschiedensten Menschen, Bergtouren, Fortschritt, und…, und… - Viel Freude machen mir der Rückhalt und die Zusammenarbeit in meiner Partei. Ich bin stolz, Sozialdemokratin zu sein und froh, in einer Partei Politik machen zu dürfen, die immer wieder diskutiert, hinterfragt – auch mich –, streitet und um Positionen ringt. Ich bin überzeugt, dass die sozialdemokratische Politik die Lebensqualität der Menschen in diesem Land verbessert hat.
Was macht Ihnen Angst?
Nächste Menschen zu verlieren, schwer zu erkranken – das macht mir Angst. In der Politik hingegen habe ich sehr selten Angst. Da bin ich eine erprobte Stehauf-Frau.
Was ist Ihr grösstes Talent?
Auf ein Ziel hinarbeiten. Und dabei immer wieder Wege zu finden, wie ich die Hindernisse überwinden kann. Politische Kreativität könnte man vielleicht sagen.
Mit wem würden Sie gerne eine Wanderung unternehmen?
Mit meinen Regierungsratskolleginnen und -kollegen.
Mit wem möchten Sie nicht im Lift stecken bleiben?
Mit meinen Regierungsratskolleginnen und -kollegen nach der Wanderung.
Glauben Sie ans Schicksal?
Nein.
Die Politikerin Jacqueline Fehr (58) wohnt in Winterthur. Sie war von 1998 bis 2015 Nationalrätin und von 2008 bis 2015 Vizepräsidentin der SP Schweiz. Am 12. April 2015 wurde sie in den Zürcher Regierungsrat gewählt, wo sie die Direktion der Justiz und des Inneren leitet. Jacqueline Fehr hat zwei erwachsene Söhne.
Die Fragen stellte Peter Röthlisberger schriftlich.
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